Berliner Restrukturierungsforum - „Steilmann, Zero, Wöhrl: Kommt der stationäre Einzelhandel aus der Mode?“

Berlin, 17. November 2016 - Das Berliner Restrukturierungsforum öffnete am 2. November 2016 zum zehnten Mal seine Tore und widmete sich dem aktuellen Thema „Steilmann, Zero, Wöhrl: Kommt der stationäre Einzelhandel aus der Mode?“. Rund 100 Gäste verfolgten die spannende Diskussion um die Zukunft des stationären Einzelhandels in der Modebranche. Die Erkenntnisse des Abends: Die Händler müssen ihre Kosten in den Griff bekommen, die Kunden besser kennenlernen, den Einkauf als Erlebnis gestalten und eine Markenstory zur Markenbindung erzählen können.

Ob Steilmann, Zero oder Wöhrl, der stationäre Modehändler scheint derzeit vor einer Neuausrichtung zu stehen. Meldungen über kriselnde Einzelhändler machen beinahe täglich die Runde. Während der Onlinehandel boomt, sinken die Umsätze im stationären Einzelhandel. Deswegen ging das Berliner Restrukturierungsforum der Frage nach der Zukunft des stationären Einzelhandels in Deutschland nach.

In seinem Impulsreferat verdeutlichte Dr. Ralf Moldenhauer (Senior Partner & Managing Director, The Boston Consulting Group), dass sich der deutsche Einzelhandel derzeit im Auge des Sturms befände. Unter anderem durch die digitalen Veränderungen, zunehmende Online-Kanäle, neue Geschäftsmodelle sowie boomende Discounter würde der stationäre Einzelhandel zum Umdenken gezwungen. „Die Marktveränderungen werfen wichtige Fragen für die Händler auf: Welche Rolle wird eCommerce in Zukunft für meinen Kunden spielen? Wie wird das Zusammenspiel aus Offline, Online und Mobil aussehen? Oder: Wie gestalte ich die künftige Kommunikation mit meinen Kunden?“, so der erfahrene Unternehmensberater. Wichtig sei es – neben der Gestaltung von flexiblen Kostenstrukturen – seine Kunden genau kennenzulernen.

Für eine genauere Betrachtung der Zielgruppe plädierte auch Thomas Schenk (Direktor Multichannel Retail – Retail Excellence, Otto Group) in seinem Impulsreferat. Früher seien die Herausforderungen an den stationären Einzelhändler klar und überschaubar gewesen. Heute stünde er vor neuen, fundamentalen Herausforderungen. „So wie sich die Mode von Saison zu Saison ändert, ändern sich auch die Erfolgskriterien im Einzelhandel“, berichtete der erfahrene Retailexperte. So müssten Einzelhändler sehr genau prüfen, in welchen Kanälen sie präsent sein sollten, um ihre Kunden zielgerichtet und bestmöglich zu erreichen, und ob ein Omnichannel-Ansatz wirklich Sinn macht. Dabei hätten einzelne eCommerce-Player die alteingesessenen großen stationären Einzelhändler wie Galeria Kaufhof, Karstadt oder Peek & Cloppenburg längst überholt. Wichtig sei die Entwicklung einer Story, um die relevante Zielgruppe an eine Marke zu binden, denn nur Ware zu präsentieren ohne Emotion, Story und Erlebnis ist meist nicht mehr ausreichend.

In der Podiumsdiskussion berichtete Dr. Jan Markus Plathner (Rechtsanwalt, Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter), dass es häufig gute Modemarken gäbe, jedoch seien die Unternehmen dahinter schlecht strukturiert. „Ich bin überrascht darüber, wie oft sich ein Management wenig Gedanken darüber macht, wie es mit seiner Marke Geld verdienen kann“, so der erfahrene Rechtsanwalt. Viele der von ihm betreuten Unternehmen seien nicht durchfinanziert und „lebten von der Hand in den Mund“. Dr. Plathner betonte jedoch, dass nicht nur der stationäre Einzelhandel mit Herausforderungen zu kämpfen habe. Auch im Onlinehandel gäbe es in einigen Bereichen bereits eine Marktsättigung. Vor allem die kostspieligen Retouren seien im Onlinehandel nicht zu unterschätzen und würden im Insolvenzfall ein großes Problem darstellen.

Martin Herrmann (Geschäftsführender Gesellschafter, Tempus Capital GmbH) stellte fest, dass viele Modemarken das Onlinegeschäft nicht gut umsetzen können. Was der stationäre Einzelhandel brauche, sei ein gutes Produkt und ein gutes Label, das sich gut verkaufen ließe. Dabei sei Online einfach nur ein weiterer Vertriebskanal. Dafür müsse man jedoch nicht einen eigenen aufwendigen Onlineshop betreiben, im Gegenteil, Online-Marktplätze wie Amazon und Otto sind die besseren Online-Vertriebsplattformen. Jedoch solle der jeweilige Vertriebskanal auch zum Unternehmen passen. Als Investor wusste Herrmann zu berichten, dass die zügige Eröffnung mehrerer Filialen nicht gleichbedeutend mit einem erfolgreichen Geschäft sei. Aus seiner Sicht sei es wichtig, die Kosten der zentralen Funktionen der Unternehmen flexibel zu gestalten sowie die Umsätze auf vergleichbarer Fläche zum Wachstum zu bringen. Aber: „Es ist fatal, die Mitarbeiter nur als Kostenfaktor zu verstehen. Mit dem Motto ‚nur sparen‘ kommt man nicht weiter. Man muss die Vertriebs-Mitarbeiter motivieren – zum Beispiel durch Provisionen oder andere Incentive-Programme. Denn darauf kommt es an: Kundenbindung durch gute Kundenberatung“, hob Herrmann hervor.

Das Berliner Restrukturierungsforum brachte mit seiner zehnten Veranstaltung rund 100 Experten der Sanierungsbranche zusammen. Das Berliner Restrukturierungsforum ist eine Plattform für Experten der Branche und wird von Ernst & Young GmbH, GÖRG Rechtsanwälte Partnerschaft mbB und hww hermann wienberg wilhelm veranstaltet. Es bringt zwei Mal pro Jahr alle an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligten zusammen. Hochrangige Gäste stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen mit den Gästen in der Diskussion. Mehr unter: www.berliner-restrukturierungsforum.de. Die nächste Veranstaltung findet im Frühjahr 2017 statt.