Frankfurter Restrukturierungsforum: Notoperation oder Gesundheitsvorsorge? Kliniken in der Krise

Frankfurt am Main, 20. Juni 2017. Das Frankfurter Restrukturierungsforum öffnete am 22. Mai 2017 zum achten Mal seine Tore und widmete sich dem spannenden Thema „Notoperation oder Gesundheitsvorsorge? Kliniken in der Krise“. Mehr als 100 Gäste verfolgten die gelungene Diskussion um die aktuellen Probleme der deutschen Krankenhauslandschaft und die zukünftigen Herausforderungen für die Kliniken. Wichtige Erkenntnisse des Abends: Es gibt ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage sowie eine hohe Investitionsschwäche in der ganzen Branche. Das Thema Notfallversorgung hat das Potential, für viel Bewegung in der Branche zu sorgen.

Für das achte Frankfurter Restrukturierungsforum konnte ein prominentes Referentenpanel gewonnen werden: Dr. med. Michael Böckelmann (Vorsitzender der Geschäftsführung, Schüchtermann Kliniken), Andre Kremer LL.M. (Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Mönig und Partner Rechtsanwälte Insolvenz- & Zwangsverwaltung), Dr. med. Peter Magunia (Partner und Leiter Healthcare Deutschland, Roland Berger GmbH), Hafid Rifi (Konzerngeschäftsführer/Chief Financial Officer (CFO), Asklepios Kliniken GmbH) und Dr. Boris Robbers (Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Referatsleiter Krankenhäuser). Die fünf Experten diskutierten – moderiert von Julia Kappel-Gnirs (hww hermann wienberg wilhelm) und Dr. Jan Markus Plathner (Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter) – über ein Tabu-Thema in der Gesundheitsbranche, die Insolvenz von Krankenhäusern.

Den Impuls gab Dr. med. Michael Böckelmann mit seinem Referat über das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung der Dörenberg-Klinik. Sein Vortrag war ein klares Plädoyer für die Krankenhausinsolvenz in Eigenverwaltung: „Ein Weg, den wir erfolgreich gegangen sind, den wir als sehr fruchtbaren Prozess wahrgenommen haben und der dem Unternehmen sowie seinen Mitarbeitern sehr geholfen hat“, so Dr. Böckelmann. „Vor allem hatte ich nie das Gefühl, in unsicheren Fahrwassern zu sein“, beschreibt er seiner Sicht. Die Klinik sei nun mit deutlich mehr Fachabteilungen breiter aufgestellt, was wiederum zu mehr Belegungstagen und einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung der Klinik geführt habe. Sein Fazit am Ende seines Vortrags: „Mit der Insolvenz in Eigenverwaltung kann eine schnelle, durchgreifende Sanierung gelingen, ohne die Kontrolle zu verlieren.“ Durch diesen geordneten Prozess könnten sich Krankenhäuser wieder gut aufstellen.

Die wesentlichen Probleme der deutschen Krankenhauslandschaft lagen für die fünf Diskutanten auf der Hand. Dr. Boris Robbers sah diese begründet in den nach wie vor stark historisch geprägten Strukturen und der stark regional geprägten Überversorgung vor allem in westdeutschen Bundesländern. Zudem seien die Krankenhausversorgung und etwaige Schließungen auch oft ein politisches Thema. Für Andre Kremer lag ein Teil des Problems darin, dass im ländlichen Bereich zu viele kleine Krankenhäuser existieren, die alles anbieten und dabei nicht wirtschaftlich arbeiten können. Neben dem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage als eine Ursache berichtete Dr. med. Peter Magunia, dass viele Krankenhäuser strategisch nicht optimal aufgestellt seien und deren Management mehr an der Weiterentwicklung der Strategie arbeiten müsse. Hafid Rifi zeigte als weiteres großes Problem den Investitionsstau in der Branche auf, welcher letztlich aus der derzeit nicht funktionierenden dualen Finanzierung resultiert.

Auf der anderen Seite gab es aus Sicht von Dr. med. Magunia aber auch Erfolgsfaktoren, um sich in diesem schwierigen Branchenumfeld zu behaupten. Größe allein sei jedoch kein Erfolgsgarant, sondern die Anpassung der Kliniken an die Marktgegebenheiten. Sie sollten sich zudem auf Leistungsbereiche konzentrieren, in welchen sie eine gute medizinische Qualität erzielen. Aus seiner Sicht spiele vor allem ein gutes Management eine entscheidende Rolle – und dazu würden neben der Verwaltung vordergründig die Chefärzte gehören. Für Dr. Robbers wären „kluge und schnelle Entscheidungen“ Erfolgsfaktoren. Dabei bezog er sich auf seine Erfahrungen, dass über kommunale Kliniken oft strittig diskutiert werden würde: „Häufig wird unter Beteiligung der Öffentlichkeit gesprochen, wobei das Thema dann sehr emotional und leidenschaftlich betrachtet wird“.

Gefragt nach der zukünftigen Entwicklung bzw. ob Insolvenzverwalter und Restrukturierer auf eine Welle von Insolvenzen hoffen können, waren sich die Panelisten einig: Eine solche Welle werde es nicht geben. Die Träger – egal ob privat, kirchlich oder kommunal – seien nach wie vor bereit, viel Geld in die Hand zu nehmen. Nur bei überbordenden Defiziten werde von Seiten der Träger Handlungsbedarf gesehen. Dann erfolge die Restrukturierung aber ohne Insolvenz oder eben gleich als Verkauf, so Dr. med. Magunia.

Einem Eigenverwaltungsverfahren als mögliche Art der Sanierung standen die Referenten generell aufgeschlossen gegenüber. Jedoch hänge diese von der Zielsetzung ab und dürfte nicht um jeden Preis verfolgt werden, gab Kremer zu bedenken. Wenn die Voraussetzungen stimmen würden, sei die Eigenverwaltung ein probates Mittel neben dem Regelinsolvenzverfahren. Wichtig aus Sicht von Kremer: „Man muss die Mitarbeiter mitnehmen, denn den Turnaround muss man gemeinsam schaffen. Das ist vor allem in dieser Branche ein großes Thema, da der Erfolg einer Klinik mit dem Personal steht und fällt“. Dr. med. Magunia bemängelte, dass vielen Beteiligten das Verständnis dafür fehle, welche Chancen die Eigenverwaltung bietet. Auch Dr. Böckelmann gab zu bedenken, dass der Weg über ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung natürlich ein Risiko darstellt, es aber eben auch viele Vorteile und Möglichkeiten eröffnen würde.

Die deutsche Krankenhauslandschaft steht vor großen Herausforderungen in den nächsten Jahren, wie die Panelisten dem Publikum berichteten. Dabei zielten sie primär nicht auf die Strukturfonds beim Bundesversicherungsamt oder auf das Krankenhausstrukturgesetz, sondern auf das Thema Notfallversorgung ab. Derzeit würden die Kriterien der Notfallversorgung extrem heiß diskutiert und das Level sei sehr hoch, berichtete Dr. Robbers. Das könnten viele kleine Kliniken nicht gewährleisten und müssten wohl über kurz oder lang schließen. Auch Rifi zeigte sich überzeugt: „Die Neustrukturierung der Notfallversorgung wird die Krankenhauslandschaft maßgeblich verändern“.

Nach einem Fazit und weiteren Ausblick gefragt, war Dr. med. Magunia überzeugt davon, dass es weiterhin Restrukturierungsfälle in guter Anzahl geben werde. Der Druck werde steigen, ob die Insolvenz als Mittel häufig gewählt würde, bezweifelte er aber. Kremer wünschte sich, dass die Entscheidungsträger ehrlicher mit den Angelegenheiten umgehen und auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Rifi glaubte, dass die deutsche Krankenhauslandschaft einen Strukturwandel und eine verstärkte Ambulantisierung der Leistungen erleben werde. Häuser, die am besten diese Entwicklung verstehen und in ausgebildetes Personal investieren, hätten gute Chancen, am Markt bestehen zu bleiben.  Dr. Robbers war dahingehend pessimistisch: „Dieses System wehrt sich seit Jahren renitent gegen grundlegende Reformen“. Daher erwartete er, dass es keine großen Änderungen geben werde. Erst das Thema Notfallversorgung werde Bewegung in die Landschaft bringen. Er fand schöne Schlussworte: „Ich wünsche mir, dass wir alles deutlich entschlacken könnten, was die Bürokratie angeht. Wir sollten zurück zum eigentlich Kern kommen: der Medizin und dem Menschen – egal ob Patienten oder Mitarbeiter“.

Die Veranstalter des Frankfurter Restrukturierungsforums sind Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter, GSK Stockmann, Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und hww hermann wienberg wilhelm. Das Restrukturierungsforum ist eine Plattform für Experten der Branche und bringt zwei Mal pro Jahr alle an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligten zusammen. Hochrangige Gäste stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen mit den Gästen in der Diskussion. Mehr unter: www.frankfurter-restrukturierungsforum.de. Die nächste Veranstaltung findet im Herbst 2017 statt.